Das Feld der Erlaubnis: Briefe aus dem Sinnlichen Untergrund.
“Was bedeutet es in einer erkalteten Welt Feuer im Leib zu tragen?"
Ich begegnete EROS das erste Mal ...
# 1
Nachhause Kommen:
Die Erschütterungen des Erotischen
Ich steige zögerlich aus der Straßenbahn aus und sehe mich kurz um, ob mir irgendjemand gefolgt ist.
Ich fühle mich paranoid, beschämt und aufgeregt.
Ich habe ein Geheimnis.
Ein Geheimnis von dem niemand wissen darf.
Vielleicht sogar nicht einmal ich selbst.
Aber trotz meiner Angst fühle ich einen Sog aus meiner Mitte, der mich weiter die Straße entlang zieht.
Einen Magnetismus ...
Ich folge ihm wie hypnotisiert.
Wie in Trance.
Ich laufe mit weichen Knien und rasendem Herz durch eine belebte Straße im neunten Bezirk in Wien. Meine Kehle fühlt sich staubtrocken an und mir ist schwindlig - so als ob es mir plötzlich schwer fallen würde, mein Gleichgewicht zu bewahren.
Meine Hände zittern, mein Blick ist eingefallen - als wäre ich im Begriff, etwas Verbotenes zu tun.
In gewisser Weise stimmt das auch:
Denn ich bin im Begriff, ein
persönliches Tabu zu brechen.
Ich bin 23 und auf dem Weg in die Wohnung eines wildfremden Mannes ...
Niemand weiß, wo ich bin. Oder was ich im Schilde führe.
Niemand ist eingeweiht in dieses Vorhaben, das ich nun schon seit Monaten plane.
Niemand weiß von dem Termin, dem ich schon so lange entgegenfiebere.
... den Termin, den ich aus Angst und Scham schon drei Mal verschoben habe.
Aber dieses Mal ist anders.
Dieses Mal werde ich nicht kneifen.
Dieses Mal werde ich es durchziehen.
Dieses Mal ... betrete ich den Tempel.
"Ich weiß nicht, was ich da eigentlich tue."
In diesem Moment schießen mir eine Million Gedanken, Stimmen und Urteile durch den Kopf:
Ich frage mich einen Moment, ob das, was ich im Begriff bin zu tun, Se:xarbeit ist. Ob ich dadurch auch irgendwie so werde, wie all die untreuen Ehemänner, die ins Bordell gehen - nur anders ...
Oder ob ich gleich in der Wohnung eines Perversen lande, der mich vergewaltigt, zerstückelt und häppchenweise in seine Tiefkühltruhe im Keller wirft ...
Und zwei Wochen später weiß es meine ganze Familie, weil ich in der Zeitung stehe ...
Aber mein Körper zieht mich unentwegt weiter.
Mit verbundenen Augen und Armen:
Wie ein blinder Magnet, der unwiderstehlich
angezogen ist von einer Zukunft, die er nicht kennt.
Von einer Zukunft, die er er:innert & vorweg:nimmt:
Der Schatten, der mich wirft:
Ausgehungert.
Verrückt danach, erlöst zu werden.
Verzehrt und aufgefressen von einem
Verlangen nach Ich-weiß-nicht-was.
Schließlich stehe ich vor dem malerischen Altbau der Adresse, die ich im Internet gefunden habe und drücke nervös die Türklingel.
Ich stehe vor der Wohnungstür eines fremden Mannes, über den ich nur eines weiß:
Er ist professioneller Tantra-Masseur.
Mit der Fähigkeit gesegnet, sexuelle Traumata aus dem Schoß von Frauen zu massieren.
Sexuelles Trauma ist nicht das,
was mich in seine Arme treibt.
Was mich in seine Arme treibt, ist diese eine unglaubliche Erfahrung, die ich einige Monate zuvor gemacht habe.
Diese eine ekstatische Erfahrung, die dazu geführt hat, dass mein gesamtes Selbstkonzept und meine damalige Lebensplanung in sich zusammengefallen ist wie ein Kartenhaus.
Eine Erfahrung, zu der ich kam, wie die Jungfrau zum Kind (und ironischerweise sage ich das jedes Mal, wenn mir Eros wieder unangekündigt eine neue Seite von sich offenbart) ... aber dazu in einem anderen Brief mehr.
Hätte ich damals gewusst, was ich heute nach 13 Jahren erotischer Praxis weiß ... heute, wo ich in einer streng-monogamen Beziehung mit Eros selbst lebe und die Geographie seines Verlangens genau studiert habe ... hätte ich mich tot gelacht.
Aber damals bin ich 23 und habe keine Ahnung davon, was es heißt, wirklich erotisch lebendig zu sein und fest in meinem eigenen Sattel zu sitzen.
Ich bin schmerzhaft von Eros abgeschnitten. Eros wurde mir ausgetrieben. Aus mir heraus misshandelt, betrogen, verraten und mit einer Million Messer in den Rücken in meiner Mitte ermordet.
Und doch - höre ich ihn unentwegt nach mir rufen ...
Ich bin eine junge, unsichere Frau.
Ich schäme mich für meinen Körper.
Ich schäme mich, mich gleich vor einem wildfremden Mann nackt auszuziehen - und mich von ihm an meinen intimsten Flächen berühren und massieren zu lassen.
Aber es ist zu spät.
Die Tür geht auf und ein strahlender Mann lächelt mich an und heißt mich herzlich willkommen.
Und irgendein Teil seiner Energie landet in meiner Energie, berührt und schmilzt mich von innen auf.
Ich weiß nicht, wie mir geschieht -
aber etwas in mir versteht sofort.
Versteht und folgt ihm blind.
In dem Moment, in dem ich den Füß über seine Schwelle setze, passiert etwas Magisches in mir:
All die Angst, die Nervosität und Scham, die ich ein Leben lang in mir aufbewahrt und festgehalten habe,
fallt von mir ab wie eine Haut.
Und sie wacht in mir auf:
Meine zutiefst exhibitionistische, seelenvolle Seite, die nichts mehr liebt, als gesehen und wahr:genommen zu werden:
In meinem ganzen zutiefst paradoxen, introvertierten
In-Mich-Hineingenommen-Sein:
Meine innere Aufmerksamkeitshure, die nichts so sehr begehrt, wie entblößt bis auf die Knochen in Licht und männlicher Präsenz gebadet zu werden.
Ich fühle sofort, dass die Energie dieses Raums ihm geweiht ist. Dass die Energie dieses Raums durchtränkt und aufgeladen ist ... mit Eros.
Oder um eine BDSM-Terminologie zu verwenden:
Dieser Raum ist ein Feld der Erlaubnis.
Es fühlt sich warm, weich und unendlich satt an.
Ich sinke zurück in mich hinein und beginne zu lachen.
Oh Eros,
Ich bin ein ahnungsloses, blindes Mädchen ...
Aber mein Körper hat dich sofort erkannt.
Es ist, als hätte jemand in mir einen Schalter umgelegt:
Da, wo vorher nur öde Dunkelheit, schamvolle Zurückhaltung und das Gefühl nicht richtig zu sein war, erscheint ein strahlendes Licht, das mich durchdringt, penetriert und bis heute auf dem Gewissen hat.
Ich bin zurück.
Zurück zu Hause.
# 2
Die Bluttransfusionen des Sinnlichen
Meine Liebe ist lebendig.
Meine Liebe ist ... am Leben.
"Who made you so clear and strong
Cut from clay and stone?
Electricity flows through your spine
and it shows in the night when we're alone"
- Priestess, Pumarosa
Genug Vorspiel.
Lass mich dir erzählen,
was davor passiert ist.
Wie ich Eros wirklich begegnet bin,
zum allerersten Mal:
An der Schwelle zum Tod.
Ich bin 23 und will sterben.
Ich bin 23 und traumatisiert bis auf die Knochen.
Ich bin 23 und aufgewacht - nach einer Lebzeit voller Missbrauch, Lügen, Verrat und Manipulation.
An diesem Punkt sehe ich alle und alles um mich herum mit einer erbarmungslosen, messerscharfen Klarheit: Eine Klarheit, die sich wie ein Messer in meine eigene Kehle gebohrt hat:
Meine Muttermilch war Propaganda.
Ich bin vollständig demoralisiert und vertraue niemandem.
Am allerwenigsten mir selbst.
Ich habe mich aufgegeben und werde innerlich 24/7 von PTSD und den Geistern der Vergangenheit gefoltert. Alles in mir fühlt sich erstarrt und schockgefroren an.
Ich kann weder schlafen noch träumen.
Und ich bin vollkommen allein in meinem Schmerz:
Eine wandelnde Tote auf der Suche
nach dem Gnadenschuss.
Aber die Natur meines Zustandes,
meiner damaligen Verfasstheit war genau das:
Keine Gnade.
Ich fand die Gnade in mir nicht mehr.
*
Und dann - eine Sekunde vor Mitternacht - fand Eros mich.
Ich war 23 und wollte sterben. Aber dann machte mich diese eine lebensverändernde se:xuelle Erfahrung:
Ich verlor mich vollständig im Moment und gab jegliches Streben nach irgendetwas im Se:x auf. Ich schmolz und öffnete mich - nach unten.
Mein gesamtes Bewusstsein versank in meinem Becken:
Und plötzlich kehrte Eros zurück in meinen Körper und überflutete mich mit seiner unendlichen Großzügigkeit. Ich lag im Bett und spürte, wie sich in meinem Beckenraum winzige energetische Ströme entsponnen - wie Feuerfäden.
Es fühlte sich unendlich subtil, unendlich weich an - und ganz anders als die Gefühle von se:xueller Erregung und Entladung, die ich bis dahin kannte.
Nach einer Weile schwappten diese feinen Ströme von einem Moment auf den nächsten von meinem Becken über - und ergossen sich als gigantischer Ozean der Ekstase über meinen ganzen Körper.
Ich verlor jegliches Gefühl für Raum und Zeit und
ließ mich von Eros übernehmen und entführen.
Er raubte mich mir selbst:
Meiner problematischen Identität,
die viel zu viel gesehen hatte.
Er liebte mich wieder zusammen, wo ich zerbrochen war und badete mich in seiner heiligen Lebendigkeit.
Ich fand die Gnade genau dort,
Wo ich sie am wenigsten erwartet hatte:
Genau dort, wo man mir gesagt
hatte, dass ich nicht nach ihr suchen sollte ...
Zwischen meinen Beinen.
*
Als ich nach mehreren Stunden wieder aus der Erfahrung herauskam, hatte ich eine Offenbarung:
Das war alles was ich mir immer gewünscht habe - ohne es zu wissen.
Das war es, was ich immer gesucht habe - mein Leben lang.
Das war es, was ich immer gehofft hatte, in meinem Herz zu finden - nur um dann wieder enttäuscht festzustellen, dass diese Energie im Herz nicht verfügbar ist.
Das Herz ist selbst an diese Energie angeschlossen - und von ihr abhängig.
Denn wenn Eros unser Herz nicht füttert, bluten wir aus: Eine Erfahrung, die so gut wie alle Frauen
nur zu gut kennen ...
Ich hatte meinen tiefsten Hunger berührt:
Das Verlangen unterhalb all meiner anderen Verlangen.
Ich erwachte aus einem gigantischen, gesellschaftlichen, psycho-spirituellen Gaslight:
Plötzlich wurde mir klar, dass immer wenn ich gedacht hatte, dass ich eine Beziehung haben möchte oder Liebe ... ich in Wahrheit immer nur das gesucht hatte.
Plötzlich wurde mir klar, dass immer wenn ich gedacht hatte, ich müsste meine Berufung leben - oder irgendeine Art von weltlichen Erfolg erreichen ... ich in Wahrheit immer nur das gesucht hatte.
Plötzlich wurde mir klar, dass immer wenn ich gedacht hatte, dass ich irgendeine Art von High, Rausch oder "normalen" Or:gasmus haben wollte ...
... ich in Wahrheit immer nur das gesucht hatte.
Plötzlich wurde mir klar, dass all die Lügen, die man mir erzählt hatte, dass es normal ist, sich so zu fühlen, dass im Leben "etwas fehlt" - und dass die Antwort darauf Spiritualität und Kontemplation seien - und dass man endlich erkennen müsse, dass Erfüllung im Körper eine Illusion sei ...
... eine gigantische Lüge waren.
*
Aber am allermeisten wurde mir bewusst:
Dieser unaussprechliche Hunger in mir nach
Ich-Weiß-Nicht hatte einen tieferen Sinn:
Er verwies direkt auf sie:
Das weise Tier unterhalb meines Bauchnabels.
... und, am allerwichtigsten:
Es war möglich, eine Erfahrung von vollkommener Erfüllung und tiefster Sattheit zu machen:
In diesem Leben: In dieser Welt: In diesem Körper.
Der Hunger war da, um gestillt zu werden:
Von Eros selbst.
*
Diese Einsicht hatte weitreichende Folgen für meinen Weg:
Sie erfasste mich wie ein Fegefeuer und brannte den
Grund weg, auf dem ich bisher gestanden hatte:
Mir wurde klar, dass mein Plan, eine Intellektuelle zu werden und in die Wissenschaft zu gehen, Geschichte war. Mir wurde klar, dass ich all meine Irrwege, auf denen ich sie bisher gesucht (und niemals gefunden hatte) wie z.B. Kette zu rauchen, mit meinen Künstlerfreunden zu kiffen, Drogen zu nehmen, Alkohol zu trinken - aus meinem Leben verschwinden mussten.
Nicht aus Disziplin oder Askese - sondern weil sie nichts waren in Anbetracht der Ekstase, die ich in mir gefunden hatte.
Mir wurde klar, dass es kein Zurück gab:
Dass ich ihr geweiht war.
Dass mein Leben ihm gehörte.
Dass er selbst das Leben in mir war.
Dass es keine Rolle spielte, ob ich mich aufgegeben hatte.
Denn sie hatte mich nie aufgegeben,
niemals von mir abgelassen.
Und alles brannte nieder.
Aber das spielte keine Rolle:
Denn ich stand in seinen Flammen:
Nichts konnte ich umwerfen.
*
Aber kommen wir zurück zur eigentlichen Frage:
In einer Welt, die von Thanatos und seiner Taubheit geprägt und besetzt wird - wie können wir den Lautstärkeregler unseres Eros wieder aufdrehen und das Erotische in unserem Leben restaurieren?
Wie können wir die wenigen heiligen Räume, in denen Eros noch tanzen kann, mit unseren Zähnen und Krallen verteidigen?
Denn wenn wir ihn nicht be:anspruchen und füttern -
stirbt und verschwindet er aus unserer Mitte ...
Die Welt verliert zuerst ihre Libido,
Dann ihren Verstand.
Lass uns tanzen, singen und fasten.
Lass uns zusammen kommen in seinem Namen.
Lass uns die Trance im Herzen unserer
Spezies wieder wachküssen.
Nicht für dich.
Nicht für mich.
Für die Geister.
Für die Erde.
*
Und jetzt zu dir ...
Damals, mit 23 , war mein Tabu zu einem Tantramasseur zu gehen und zu lernen, die unglaubliche Ekstase, die mich in Erfahrung brachte, in meinem Leben zu stabilisieren.
Es war mein Tabu und gleichzeitig mein größtes Verlangen, mein tiefster Hunger.
Es war der Beginn meiner Reise in das erotische Feld:
Zurück in den Sinnlichen Untergrund.
Eine Reise, die mich rekonfiguriert und neu zur Welt gebracht hat. Eine Reise, der ich alles verdanke.
Eine Reise, die mir den Arsch gerettet hat.
Eine Reise, die dazu geführt hat, das ich heute all die Dinge tue, die ich tue. Eine Reise, die mich zurück in mir verankert hat - und an dem Ort, dem ich gehöre:
Im weisen Tier, das unterhalb des Bauchnabels lebt.
Diese tiefe Beheimatung im Orakel meiner Weiblichkeit
ist meine größte Geheimwaffe:
Mein schärfstes Schwert, das es mir erlaut, gnadenlos alles aus meinem Leben zu schneiden, das nicht Wahrheit in meinem Körper ist.
Mein innerer Kompass, der mir den Weg durch die Wildnis weist.
Meine Muse, Geliebte und endlose Inspirationsquelle.
Mein ewiger Flirt mit Risiko und Gefahr.
Meine Liebe für dominante Männer, Waffen & schnelle Pferde.
Mein Mut, direkt aus meinem Schoß zu sprechen und als die in Erscheinung zu treten, die ich bin:
Eine zutiefst ergebene, devote Frau,
die sich nicht länger gehört:
Eine Frau auf ihren Knien.
Eine Frau, die ihm gehört.
Die von ihm beschützt wird.
Die von ihm versorgt wird.
Aber alles begann damit, dass ich meinem unlogischen, blinden Verlangen nachgab und ein Tabu überwand: Denn unsere verlorene, erfrorene Lebensenergie ist genau dort gefangen, wo wir sie am wenigsten vermuten:
In unseren persönlichen Tabus.
Dein persönliches Tabu muss keine Tantramassage sein.
Vielleicht ist dein persönliches Tabu ...
einen Tanzkurz zu machen
mehr über dein ekstatisches Potenzial zu erfahren
einen Tantra- oder BDSM-Workshop zu besuchen
deinem Liebhaber in das einzuweihen, was dein Körper wirklich braucht, um sich zu öffnen
in einen Swingerclub zu gehen
die weiblichen Künste zu lernen
Dominanz und Unterwerfung zu erforschen
eine Dom-Sub-Dynamik in deiner Beziehung zu etablieren
... oder deinen Or:gasmus in deiner Trauer, deinem Trauma oder deiner Wut zu finden
Wenn du diese Zeilen hier liest, dann ist es wahrscheinlich, dass es auch für dich an der Zeit ist, auf deine persönliche erotische Reise zu gehen - und diesen einen Teil von dir aus dem fruchtbaren Schattenland des Tabus zu reklamieren, der dein Alles ist:
Dein EROS.
Dieser Container hier ist dein Feld der Erlaubnis.
Möge dich genau diese Energie durch meine Zeilen hindurch penetrieren und dich an die Poesie erinnern, die in deinem Fleisch wohnt.
... und an diese eine existenzielle EROS-Weisheit:
In Zeiten der Krise
In Zeiten, von Trauma, Verlust & Verzweiflung
In Zeiten, in denen alles auseinanderfällt und die Welt ihren Verstand verliert
In Zeiten, wo dir am allerwenigsten danach ist ...
Erhöhe den Anteil an Ekstase in deinem Leben.
[ Vergnügen ist eine Disziplin. ]